Vertrauen: Das Geheimnis glücklicher Kinder
sigikid
Familienleben | Gesundheit & Selfcare Elternblog
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Die Psychologin Stefanie Stahl spricht im sigikid-Interview und erklärt, wie Glaubenssätze Kinder stark machen können.
Stefanie, Sie sagen, die ersten sechs Lebensjahre seien besonders prägend für die Entwicklung der Persönlichkeit. Was können wir unseren Kindern in dieser Zeit mitgeben?
Bindung ist die Grundlage von allem. Es ist wie bei einem Haus – erst wenn das Fundament steht, kann gebaut werden. Kinder brauchen die Liebe und Zuwendung der Eltern, das ist das Wichtigste. In den ersten Jahren hat das viel mit körperlicher Nähe zu tun, mit Stillen und Kuscheln. Aber Kinder haben gleichzeitig einen Entdeckerdrang. Sie brauchen Eltern, die ihnen Freiraum lassen, sich altersgemäß zu erproben und abzugrenzen, die es also nicht überbehüten. Das Geheimnis ist: Halt geben und loslassen.
Das Loslassen scheint heutzutage vielen Eltern schwerzufallen. Kinder werden zu Verabredungen und in die Schule gefahren. Und dass sie den ganzen Tag alleine draußen spielen, ist für die meisten Eltern unvorstellbar.
Leider! Das behindert die Autonomie des Kindes enorm. Es bekommt unbewusst die Botschaft vermittelt „Du kannst es nicht ohne mich schaffen“, „Wir trauen dir nichts zu“. So wird das Selbstwertgefühl geschwächt. Dabei wollen schon Dreijährige vieles „Alleine!“ machen und sind stolz, wenn sie etwas ohne Hilfe schaffen.
Letztlich wollen die Eltern ihre Kinder nur vor Gefahren schützen ...
Die Welt ist nicht gefährlicher geworden, im Gegenteil – heutzutage haben wir Handys. Ich bin früher immer alleine zur Schule gegangen. Auf dem Weg musste ich mitunter schon drei „Kämpfe“ mit Jungs hinter mich bringen, bevor ich die Schule erreichte. Das war nervig, aber es hat mich fit gemacht für das Leben. Außerdem entlastet es die Eltern, wenn sie ihre Kinder nicht ständig chauffieren und beschäftigen. Eltern, die Selbstfürsorge betreiben, tun ihren Kindern etwas Gutes.
Wie kann diese Selbstfürsorge aussehen?
Viele Eltern sind berufstätig und oft gestresst. Sie sollten im Alltag Inseln für sich schaffen, um Kraft zu tanken. Das können Kleinigkeiten sein wie etwa, die Tasse Kaffee zu genießen, anstatt sie nebenbei in sich hineinzukippen. Kinder fordern viel und können wahnsinnig anstrengend sein. Ist der eigene Akku leer, wird man reizbar. Wenn die Mutter auf kindliches Verhalten immer genervt reagiert, denkt das Kind nicht „Na ja, Mama hat eben gerade viel Stress“, sondern es bleibt unterbewusst hängen: „Ich bin nicht liebenswert“, „Ich genüge nicht“. Die enttäuschten Augen der Mutter können eine lebenslange Prägung sein.
Das klingt erschreckend. Müssen Eltern ständig auf der Hut sein, um keine negativen Glaubenssätze mitzugeben?
Nein. Viele Eltern machen sich viel zu viel Stress, weil sie alles richtig machen wollen. Ich kann sie beruhigen. Die Erfahrungen aus der Psychologie haben gezeigt: Es reicht, hinreichend gut zu sein. Niemand muss es perfekt machen.
Was brauchen Kinder wirklich, um glücklich zu sein?
Sie brauchen Eltern, die sie lieben und angemessen loslassen. Kinder brauchen das freie Spiel in der Natur, wo sie kreativ sein können und sich auch mal alleine beschäftigen. Das gibt ihnen ein gesundes Selbstwertgefühl. Und sie brauchen Freundschaften.
Welche positiven Glaubenssätze sind hilfreich, damit sich Kinder gut entwickeln?
Wichtige Botschaften sind „Du bist willkommen“, „Wir trauen dir etwas zu“, „Wir haben dich lieb“ – und zwar bedingungslos, so, wie du bist. Um die unbewusste Weitergabe negativer Glaubenssätze zu vermeiden, hilft es, wenn Eltern ihre eigenen Kindheitsprägungen reflektieren. Oft sehen wir unsere Kinder durch die Brille unserer eigenen Bedürfnisse und wollen sie verformen. Wenn man in gutem Kontakt zu seinen Gefühlen steht, hilft das dem Kind sehr.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich hatte mal einen Vater in der Psychotherapie, der mit seinem dreijährigen Sohn nicht zurechtkam. Das Kind hatte einen starken Willen und oft Wutanfälle. Wir stellten schnell fest, dass der Vater aus seiner Kindheit den Glaubenssatz mitgenommen hatte „Ich werde nicht respektiert“, weil seine Gefühle oft nicht wahrgenommen wurden. Immer wenn nun der Sohn einen Trotzanfall hatte, dachte der Mann „Er respektiert mich nicht!“. Die Lösung war, sich der eigenen Prägung bewusst zu werden. So nahm der Mann das Verhalten des Sohnes nicht mehr persönlich und konnte den Wutanfall als das sehen, was er ist – eine völlig normale Kleinkindreaktion.
In ihrem neuesten Buch „Nestwärme, die Flügel verleiht“ geht es viel um die Eltern und ihren Kontakt zu den eigenen Gefühlen. Ist das die Basis für eine gute Erziehung?
Ja, es ist die Basis für eine gute Beziehung – zum Kind, zum Partner und zu sich selbst. Das Buch ist weniger ein Erziehungsratgeber als vielmehr ein Beziehungsratgeber. Wenn wir unser eigenes inneres Muster entlarven, können wir gezielt reagieren: Dann lassen wir uns nicht mehr von unseren negativen Prägungen leiten, von dem „Schattenkind“, wie ich es nenne, sondern wir schalten um auf unser erwachsenes, vernünftiges Ich. So nehmen wir den Kindern eine große Last ab. Sie müssen für uns nichts sein außer sie selbst.
Über die Interviewpartnerin:
Stefanie Stahl ist Psychologin und Autorin. Als Expertin für die Themen Bindung und Selbstwertgefühl hat sie mehrere Ratgeber geschrieben, darunter den Bestseller „Das Kind in dir muss Heimat finden“. Ihr neuestes Buch ist „Nestwärme, die Flügel verleiht“, geschrieben mit ihrer Kollegin Julia Tomuschat. https://www.stefaniestahl.de/de/Home.html